Die 44. Vollversammlung der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau e.V. beschloss die Beauftragung des Vorstands mit der Veröffentlichung einer Stellungnahme zu Verboten der Verwendung von Sonderzeichen zur geschlechtergerechten Sprache.

Wir freuen uns Ihnen unsere Stellungnahme zur Verfügung zu stellen. Für weitere Rückfragen und Presseanfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Es wäre unser Anliegen, dass Ihnen die angehängte Stellungnahme nicht nur zur Verdeutlichung unserer Position, sondern genauso als Ansatz zur Weiterarbeit in Ihren eigenen Strukturen dienen würde.

Stellungnahme der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau e.V. gegen Sprachverbote und für Geschlechtergerechtigkeit

„Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.“
(Mt 2,10 EÜ)

Jedes Mal
Wenn du *innen sagst
Fühlt sich
Irgendwo
Irgendwer
Weniger außen
– Max Richard Leßmann

Wer Sprachentwicklungen verbietet, radiert gleichzeitig Identitäten und Subkulturen aus. In der hessischen Verwaltung und den öffentlich-rechtlichen Institutionen ist geschlechtergerechte Sprache verboten.

In diesen Bereichen darf nicht mehr mit etablierten Sonderzeichen, welche Geschlechtervielfalt sichtbar machen (* / _ / : ) gegendert werden. Auch wenn Schüler*innen diese Zeichen verwenden, gilt die Nutzung als Fehler. Die geplanten und
durchgesetzten Genderverbote sind zutiefst queer- und frauenfeindlich. Was wir sagen, beeinflusst maßgeblich unser Denken und Handeln. Wenn bestimmte Menschengruppen nicht in unserer Sprache vorkommen dürfen, dann findet eine aktive Ausgrenzung ihrer gesellschaftlichen Existenzen statt. Wir stehen als evangelischer Jugendverband durch das Leben und die Lehren Jesu Christi auf der Seite aller, die durch Machtverhältnisse unsichtbar gemacht, ausgegrenzt und unterdrückt werden. Geschlechtergerechtigkeit ist seit vielen Jahren Schwerpunktthema der Evangelischen Jugend. Wir setzen uns mit vielfältigen Projekten für Aufklärung über, sowie gegen Gewalt und Diskriminierung queerer Personen ein. Beispielsweise durch die Entwicklung einer Segnung anlässlich einer Transition, der Broschüre „Zum Bilde Gottes geschaffen“, der Ausstellung „Selbstbestimmt bunt!“ oder Veranstaltungen zum Thema. In den vergangenen Jahren werden die Rechte von Frauen und queeren Personen zunehmend aus rechten und konservativen Kreisen abgelehnt. Queerfeindliche Einstellungen finden in der Bevölkerung vermehrt Zuspruch und die Gewalttaten gegenüber queeren Personen steigen an.

Auch in Kirche(n) sind diese ausschließenden Stimmen zunehmend zu hören. Wir positionieren uns als Evangelische Jugend in Hessen und Nassau e. V. klar gegen jede Form von Sexismus und Queerfeindlichkeit. Liebe und einvernehmliche Sexualität sind ein Geschenk Gottes, das genossen werden darf. Kirchen haben den aktiven Auftrag, Menschen mit offenen Armen zu empfangen und für ihre gerechten Anliegen einzustehen. Diesen Auftrag haben sie oft verfehlt und stattdessen Menschen diskriminiert. Das hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit ihrem Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen auf der 3. Tagung der Dreizehnten Kirchensynode der EKHN in Frankfurt am Main vom 27. bis 29. April 2023 anerkannt. Wir sehen dementsprechend eine Mitverantwortung von Kirche(n), wenn Sprachverbote erlassen werden, die sich gegen Frauen und queere Menschen richten. Ebenso ist es aus unserem christlichen Selbstverständnis und unserer jugendpolitischen Haltung untragbar, als Partei diskriminierende und menschenfeindliche Politik mit angeblichen christlichen Werten zu begründen.

Ohne Gendern geht’s nicht
Wir finden es als EJHN wichtig, dass die Debatte um Gendern und Geschlechtergerechtigkeit faktenbasiert geführt wird. Genderverbote bedeuten nicht, dass nicht mehr gegendert wird und das Wort „Gender“ und alles, was damit zusammenhängt, verschwindet. Gender ist ein anderes Wort für das soziale Geschlecht. Geschlecht findet stetig in unserer Sprache statt. Wenn Menschen nicht aktiv versuchen Sprache geschlechtergerecht zu gestalten, wird das generische Maskulinum verwendet. Das bedeutet, dass alle, die keine Männer sind, nur „mitgemeint“ werden. Studien belegen, dass das „Mitmeinen“ nicht funktioniert. Wir schließen uns den Aussagen von Beatrice von Weizsäcker an, die in einem Brief an Markus Söder schreibt: „Nicht der ‚Rat für deutsche Rechtschreibung‘ sollte ausschlag-gebend für Ihr Handeln sein, sondern die Menschen. Schon aus Respekt. Wenn ihre Rechte verletzt werden, darf es keine Rolle spielen, ob die Sprache ‚Eingriffe in Wortbildung, Grammatik und Orthografie‘ zur Folge hat.“ Deshalb ist es für uns legitim, dass Menschen versuchen, flexibel und kreativ mit Worten umzugehen, um reale Unterschiede zu ermöglichen. Sprache wird sich immer wieder verändern. Auch Gendern wird sich immer wieder verändern. Egal ob Unterstrich, Partizipialform, Doppelpunkt, Sternchen, Aufzählungen, das generische Maskulinum oder das generische Femininum – Menschen werden immer wieder neue Ideen haben, wie sie gerne sprechen und schreiben möchten und wie sie eine gerechtere Welt schaffen können.

Niemand soll Gendern müssen. Alle sollen Gendern dürfen.
Wir möchten als EJHN keine Vorschrift zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache machen. Wer das generische Maskulinum
bevorzugt, soll es weiterhin benutzen dürfen. Gleichzeitig sollen auch diejenigen, die sich für geschlechtergerechte Sprache entscheiden, diese
frei verwenden können. Wir als Evangelische Jugend in Hessen und Nassau e. V. werden weiterhin mit dem Asterisk-Stern gendern – so wie wir es
bereits 2014 auf der 25. Vollversammlung der Ev. Jugend in Hessen und Nassau e.V. beschlossen haben und seitdem tun. Genderverbote sind
gefährlich. Bestimmte Identitäten werden so gezielt und bewusst unsichtbar gemacht. Das können wir nicht mit unseren christlichen Werten
vereinbaren und sprechen uns deswegen klar gegen sprachliche Zensur aus.

Schließt euch uns an!

Wir möchten eine gerechtere Welt mitgestalten. Das geht nicht, wenn wir nicht mehr sprechen und schreiben dürfen, was und wie wir möchten. Setzt ein Zeichen gegen Sprachverbote. Schließt euch der Stellungnahme an oder formuliert eure eigenen Perspektive!

“Oppressed peoples are always being asked to stretch a little more, to bridge the gap between blindness and humanity. […] If I fail to recognize them as other faces of myself, then I am contributing not only to each of their oppressions but also to my own, and the anger which stands between us then must be used for clarity and mutual empowerment, not for evasion by guilt or for further separation. I am not free while any woman [anyone] is unfree, even when her [their] shackles are very different from my own. […] Nor is anyone of you.“
– Audre Lorde

Die Evangelische Jugend in Hessen und Nassau e.V. ist der selbständige Jugendverband der EKHN. Sie vertritt die jugendpolitischen Belange kirchlicher und verbandlicher Arbeit mit, von und für Kinder(n) und Jugendliche(n) und damit die Interessen von Kindern und Jugendlichen, Ehrenamtlichen und Hauptberuflichen im gesamten Arbeitsfeld Kinder und Jugend gegenüber Kirche, Staat und Gesellschaft.

(Die Quellen zu den Aussagen der Stellungsnahme sind in der PDF Version zu finden)