Veränderte Kommunikationsformen durch das Web 2.0 als Bereicherung und Verantwortung
Von Biedenkopf bis in den Odenwald, vom Vogelsberg bis nach Rheinhessen – die Evangelische Jugend in Hessen und Nassau e.V. (EJHN) erstreckt sich über eine Fläche von über 13.000 km. Über 120 Delegierte und Interessierte nehmen an den halbjährlich stattfindenden Vollversammlungen teil. Wie alle anderen Jugendverbände steht auch die EJHN vor der schwierigen Aufgabe, mit wenigen Ressourcen alle Mitglieder und deren Delegierte umfassend zu beteiligen. Nicht nur enorm hohe Fahrtkosten, sondern auch der zeitliche Aufwand erschweren interessierten Mitgliedern oft die Teilnahme an Tagungen und Veranstaltungen, die oft nicht länger als die Anreise selbst dauern.
Der 14-köpfige Vorstand der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau hat sich daher 2012 intensiv mit neuen Kommunikationsformen durch das Web 2.0 beschäftigt. Wie kann ressourcenschonend eine möglichst breite Beteiligung erreicht werden? Welche Tools eignen sich für die verbandsinterne Arbeit? Mit Beschluss des Vorstandes werden in einer einjährigen Testphase verschiedene Kommunikationstools im Web 2.0 getestet und auf ihre Möglichkeiten und Gefahren hin überprüft.
Eigene Community
Facebook ist die derzeit größte Online-Community in Deutschland. Auf Grund einer fragwürdigen Datenschutzpolitik und nur geringen Mitgestaltungsmöglichkeiten, eignet sich Facebook allerdings nur schlecht für die verbandsinterne Arbeit. Personen, die sich (verständlicherweise) keinen Account bei Facebook anlegen möchten, werden automatisch von der Verbandsarbeit ausgeschlossen.
Die EJHN hat sich unter www.mixxt.de eine eigene, kostenlose Community für die Vorstandsarbeit zusammen gestellt. Neben einem Veranstaltungskalender, der es ermöglicht, zu Veranstaltungen zu- oder abzusagen, dient vor allem das Forum zum Austausch über aktuelle Themen. Wie alle anderen Communitys lebt die eigene Community aber auch ausschließlich von der Akzeptanz und der Interaktion der Mitglieder. Wird die Community nicht regelmäßig besucht oder nicht angenommen, werden Mitglieder aus der Verbandsarbeit ausgeschlossen.
In der Arbeit der EJHN hat sich die Community nicht als erhoffte All-in-one-Lösung herauskristallisiert. Einige Tools innerhalb geschlossener Gruppen sind nur in den kostenpflichtigen Paketen (ab 9,-€/Monat) enthalten oder haben sich nicht als geeignet herausgestellt, auch weil die Beteiligung in nicht privat genutzten Tools eher gering ist.
Skype-Videokonferenz
Der fünfköpfige geschäftsführende Vorstand der EJHN (GfVS) bereitet die regelmäßigen Vorstandssitzungen vor und bespricht aktuell anliegende Themen vorab. Während der Testphase entschied sich der GfVS, jede zweite Sitzung durch eine Skype-Videokonferenz zu ersetzen. Klarer Vorteil der Videokonferenz gegenüber einer klassischen Telefon- oder Skypekonferenz liegt hier im Sichtkontakt aller Beteiligten. Voraussetzung für das Gelingen einer Video- oder Telefonkonferenz ist die entsprechende Vorbereitung der Beteiligten. Materialien müssen im Vorfeld rechtzeitig zur Verfügung gestellt (z.B. per Email, in Pads oder der Community) und von den Teilnehmern gelesen werden.
Allerdings haben sich auch in der Umsetzung der Videokonferenzen immer wieder Schwierigkeiten ergeben. Langsamere Internetverbindungen haben immer wieder zum Abbruch der Verbindung geführt. Aber auch bei schnelleren Internetverbindungen kommt es des Öfteren dazu, dass das Videosignal unterbrochen wird und nur noch der Ton zu hören ist. Diese technischen Probleme erschweren zeitweise die reibungslose Kommunikation in den Sitzungen. Vorteile dagegen sind u.a. die deutliche Ersparnis von Zeit und Reisekosten sowie die Reduzierung von unnötiger CO²-Belastung der Umwelt. Videokonferenzen können allerdings die realen Treffen nicht ersetzen.
Textbearbeitung
Immer wieder kommt es in Jugendverbänden vor, dass gemeinsam Texte erstellt und bearbeitet werden müssen. Hier hat der Vorstand der EJHN verschiedene Tools getestet. Hier dürften EtherPads und Google Docs bereits einigen bekannt sein.
Beide Tools sind online basiert und ermöglichen das gleichzeitige Bearbeiten eines Textes durch mehrere Anwender. Ein aufwendiges Verschicken von überarbeiteten Versionen ist nicht mehr notwendig. Alle Nutzer können in Echtzeit alle Änderungen und Ergänzungen abrufen und weiterbearbeiten.
EtherPads haben gegenüber Google Docs den Vorteil, dass jedem Nutzer automatisch eine Farbe zugeteilt wird und somit Änderungen farblich nachvollziehbar sind. Außerdem bieten einige EtherPads einen TimeSlider an, über den vorherige Versionen abgerufen sowie die gesamte Entstehung nachvollzogen werden kann. Ein eigenes EtherPads kann man sich zum Beispiel unter www.openetherpad.org einrichten.
Virtuelles Parlament
Auf ihrer Vollversammlung im November 2012 hat die EJHN ein virtuelles Parlament durchgeführt. Ziel war es, herauszufinden, inwieweit eine virtuelle Debatte gegenüber einem tatsächlichen Plenum geeignet ist, auch schwierige Themen zu diskutieren und möglicherweise auch einen Konsens zu finden. Gleichzeitig sollte durch eine nachträgliche Auswertung festgestellt werden, inwieweit sich virtuelle Debatten auf die Beteiligungsmöglichkeiten unterschiedlicher Zielgruppen auswirken.
Im Rahmen des virtuellen Parlamentes wurden über hundert Beteiligte (Ehrenamtliche & Hauptamtliche, Jugendliche & Erwachsene) mit Hilfe von dreißig Notebooks miteinander vernetzt. In Gruppen von drei bis vier Personen sollten sich die Teilnehmer über drei EtherPads zu den Praxis-Erfahrungen mit der Kinder- und Jugendordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau austauschen, mögliche Gesetzesänderungen diskutieren und die die Ordnung in eine leichte und verständliche Sprache umformulieren. Die Teilnehmer empfanden das virtuelle Parlament so:
- „Denke die Ergebnisse und die reichhaltigen Infos sprechen für einen Erfolg, ob dies jetzt zu einem abschließenden Punkt kommen ist fragwürdig aber nicht gewünscht! Gut gemacht!“
- „Lassen wir das virtuelle lieber. Mir sind die Ziele dieser Debatte nicht bewusst. Es wäre einfacher wenn Probleme genannt wären über die man dann diskutiert.“
- „Idee grundsätzlich nicht schlecht, aber vorm PC sitzen wir ohnehin schon den Rest der Woche. Ich vermisse die schönen „altmodischen“ Gruppenworkshops, bei denen jeder nach seinen Präferenzen sich aussuchen konnte Und bei dem man direkt mit Menschen gesprochen hat und sich nicht mit technischen Schwierigkeiten auseinandersetzten musste.“
Diese Zitate sind beispielhaft für die Rückmeldungen der Teilnehmer. Hinsichtlich der veränderten Beteiligungsmöglichkeiten verschiedener Gruppen durch eine virtuelle Debatte konnte die Auswertung der Fragebögen dennoch einige hilfreiche Hinweise geben.
- Die Gruppe der Ehrenamtlichen zwischen 21 und 24 Jahren konnte sich nach Selbsteinschätzung am Besten beteiligen. In dieser Gruppe gaben dies rund 67% an. Bei den anderen Altersgruppen ergab sich ein anderes Bild. (15-17 Jahre: 28%; 18-20 Jahre: 37%; älter als 24: 20%)
- Die Möglichkeit sich im virtuellen Raum einzubringen wird von männlichen Ehrenamtlichen leicht positiver bewertet als von den weiblichen Ehrenamtlichen. (45% zu 37%)
- Hauptamtliche diskutieren nach Ihrer eigenen Einschätzung wesentlich lieber in einer realen Diskussion. Dies gaben 64% der Befragten an.
Fazit
Einigkeit der Vorstandsmitglieder herrschte darüber, dass die Kommunikation über das Web 2.0 den persönlichen Kontakt und regelmäßige Präsenzsitzungen nicht ersetzen könne. Die EJHN begreift die Auseinandersetzungen mit den Möglichkeiten des digitalen Netzes als große Chance für die Verbandsarbeit. Dies kann helfen, Menschen besser in demokratische Prozesse einzubinden und Verfahren transparenter zu gestalten.
Die EJHN ist sich bewusst, dass das Internet und dessen Potentiale eine völlig neue Diskussionskultur entstehen lassen. Die Debatte um die effiziente Nutzung dieser Technologien ist noch in vollem Gange. Jugendverbände sollten diese begleiten und mitgestalten. Das Web 2.0 sieht die EJHN in ihrer Arbeit als Bereicherung, aber auch als Verantwortung.